An einem Samstag im Frühjahr kommt nora zu Bernhard und mir in die WG zum Frühstück. Danach wollen wir beginnen, das Zentrum Christlicher Bünde auf dem Meißner inhaltlich vorzubereiten. Ich freue mich sehr, dass nora und Bernhard zugesagt haben, mitzumachen. Nora studiert Theologie, Bernhard Kunst und ich möchte einfach nicht auf das Lager fahren, ohne etwas beizutragen. Und unser Dreigespann ist so gut, wie ich mir es vorgestellt habe: Innerhalb einer Viertelstunde ist mein Bett von Büchern und einer riesigen Mindmap bedeckt und die Luft surrt vor Ideen und großen Plänen. Einen Schreibtisch werden wir mitten auf den Lagerplatz stellen. Einen Ort, wo man die Perspektive auf sich und das Lager verändern soll und geistlich angeregte Kunst sehen und produzieren kann. Ein Agapemahl wollen wir feiern und vieles mehr.
Das Wetter, die Uni, unsere Spontaneität und unsere hübsche Alternative zur wirtschaftlichen Organisation dampfen unsere Pläne auf ein Maß ein, das wir bewältigen können. Mit einem Auto voll von Möbeln, Papier, Fotoapparaten und Spannung kommen wir auf dem Lagerplatz an. Ich habe das Gefühl, etwas Besonderes vorbereitet zu haben, für ein besonderes Lager. Ein erster Erkundungsgang über das noch entstehende Lager lässt mich erkennen, was ich mir auch hätte denken können, woran mich aber meine Euphorie gehindert hat: Die andern zeigen auch, dass sie die Tollsten sind. Die tolle Kunstinstallation in der Jurte des Jungenbund Phönix, das Labyrinth im Westforum und das abartig liebevolle Café Spunk des Laniger Mädchenwandervogels, wo die „Bedienung“ nicht eine Sekunde stutzt, als ich Kummuluspillen zum frischen Blechkuchen bestelle, und mir alles Gewünschte bringt, so dass ich jetzt niemals erwachsen werden muss. Und unsere Kirche mittendrin. Wir präsentieren uns mit dem, was uns von anderen Bünden unterscheidet. Das bedeutet drei Andachten am Tag und dann noch eine Taizé-Nacht oder ein Gottesdienst. Aber alle anderen scheinen auch zu übertreiben in ihrem Auftreten. Ausnahmezustand. Ich habe fast das Gefühl auf einem Festival zu sein. (Zumindest konnte man nachts auch Enthemmten begegnen.) Genau wie ich sind die meisten anderen zum Gucken und Spaß haben da. Und ich frage mich nach dem Gucken, wie attraktiv unser Angebot denn ist. Bei uns finden keine rauschenden Singerunden statt und keine Vorträge über die verwegensten Fahrten. Bei uns steht ein Altar statt einer Bar. Cool ist das nicht. Das ist auch auf diesem Großtreffen der Nonkonformisten nicht „massenkompatibel“. Und tatsächlich, als unser Kunsttisch am Freitag zwischen drei Wandervogeljurten steht, scheint er mir ganz anders wahrgenommen zu werden. So subtil scheint das zu funktionieren, auch in der werbefreien Welt der konsumkritischen Jugend. Sollte ich deshalb enttäuscht sein? Ich habe beschlossen, dass ich das nicht nötig habe. Und wir als CPD finde ich auch nicht. Ich fand es schade, dass beim Festakt nicht alle 3.000 Anwesenden bei „Freude, schöner Götterfunken“ lauthals mitgesungen haben. Das wäre wohl der Pathos gewesen, den sich die Redner und Choreographen (und ein bisschen auch ich) gewünscht hätten. Es hat nicht funktioniert. Ich hatte leider keine Gänsehaut. Nichts hat sich bewegt. Doch! Ich. Beim Vorbereiten. Es gab Momente auf dem Lager, in denen ich Gänsehaut hatte. Und das in unserer Zeltkirche. Wie schön, dass nicht nur CPDer*innen und Heliandpfadfinder das Lebensfragenspiel gespielt haben, wie schön, dass die Kirche mehrmals gerappelt voll war, wie schön, dass viele unser Zelt ehrfürchtiger betraten, als die Pinten. Und dann war da dieser Meutenführer vom BdP mit seiner Meute, der den 13-jährigen zeigen wollte, dass man mit Jurtenbahnen auch eine richtige Kirche bauen kann. Mit Chorraum, Fenstern, Glocke, Altar, Vestibül und Haupt- und Seitenschiff. Und plötzlich zupft ein Wölfling seinen Akela am Arm und fragt leise: „Du, darf ich beten?“ – „Natürlich, wenn du das möchtest.“ Und der Pimpf kniet sich vor den Altar und faltet die Hände, ungeachtet der witzelnden Fragen seiner Mitwölflinge. „Lasst ihn doch für ein paar Minuten in Ruhe.“ sagt der Akela. Im Rausgehen sagt der Wölfling zu seinen Kumpels etwas altklug: „In Deutschland haben wir nämlich Religionsfreiheit, deshalb darf ich auch beten.“
Witzig und unglaublich schön. Das gäb’s auf einem Festival dann doch nicht. Und ich weiß jetzt, dass wir dem Lager etwas gegeben haben, was vielleicht nicht jeder braucht, aber einige suchen. Da habe ich vor Glück die Nacht in der Pinte nebenan durchgesungen.
Gott, der uns am glücklichsten macht, wenn er uns im freundlichen Wahne so hintaumeln lässt. (Werther)