Meissnerlager, Freitag 20:15. Endlich mal früher Feierabend, Kurs bergauf, immer den Ohren und den Öllampen nach.

„Schnipsel für Andy, Schnipsel für Andy, bitte kommen…krchtz.“

„Schnipsel hört?“

„Sag mal, wo haben wir denn noch Klopapier?“

„Wie? Da war doch alles voll bei Dir im Lager. Gestern noch.“

„Ein paar Rollen sind noch da, aber viel ist es nicht.“

„Moment. Ich komme!“

Also erstmal ein kleiner Abstecher in Andys Reich, die kleine Rasthütte, die mit Holzplatten zu einem Materiallager umgebaut wurde.

Tatsache - das Klopapier ist fast verbraucht! Ausgerechnet jetzt! Das widerlegt dann endgültig meine These, die auf dem Bundeslager zu Pfingsten noch ganz gut funktioniert hat, nämlich dass der Klopapierverbrauch linear mit der Lagerdauer ansteigt. 

Eigentlich irgendwie logisch, wer verkneift sich nicht in den ersten Tagen die längere Sitzung auf den unkuscheligen PE-Tiefzieh-Brillen, um dann irgendwann zu kapitulieren und das Paradies aus Plastik und Poppnieten dann doch mal für Größeres zu betreten. Daran konnten auch die grandiosen Putzkolonnen, die teils mit Gitarrenbegleitung und Bollerwagen durch die Kloreihen zogen und für eine Sauberkeit sorgten, von der sich manche Autobahnraststätte ein paar Scheiben abschneiden konnte, nichts ändern. Zuverlässige Angaben über den Klopapierverbrauch auf einem Zeltlager scheint auch eine der wenigen Informationen zu sein, die man Google nicht entlocken kann.

Kurzer Anflug von Panik. Bilder von Rebellion, von verzweifelten Hortenführern, die ihren Pimpfen zwei Blatt von der letzten Rolle rationieren… Schwarzmarkt mit Dreilagigem…da kommt der rettende Funkspruch: „Kaufland in Eschwege hat noch auf, das Auto ist bereits unterwegs. Wie viele Rollen wollt Ihr haben?“ Ich bin mal wieder völlig überwältigt von unseren Helferdiensten, vom Fahrdienst, einfach von der ganzen Truppe, die hier seit zehn Tagen wohnt und ackert und einfach alles so toll im Griff hat. In diesem Moment bin ich einfach nur ergriffen.

Alle Aufgaben, die im Laufe der letzten anderthalb Wochen zu bewältigen waren, haben Dank der vielen großartigen Helfer wunderbar geklappt. 

Angefangen hat es mit dem Öffnen und Entleeren der beiden gigantischen Container, die bis zum Bersten gefüllt waren mit Waschstellen, Rohren, T-Y-X-Z-Stücken, Adaptern, Aufrollvorrichtungen, Wasserhähnen, einer kompletten Werkstatt, Bottichen, Zubern und Sieben. Ein riesiges Puzzle.

Dann galt es dafür zu sorgen, dass die rund 3000 Lagerteilnehmer einigermaßen komfortabel, unbeobachtet und ohne langes Warten Gesicht, Hände, Zähne, Geschirr und was weiss ich noch putzen und waschen konnten. Dazu gab es eine ganze Menge Wasserhähne, Blechwannen, einen riesigen Haufen Zelte, aber keine Gestelle für die Waschstellen. Nach einem kurzen Prototypenbau ging es also zum Shoppen mit’m Trecker ins örtlichen Sägewerk, um die vielen Meter frisch erworbene Dachlatten in wunderschöne Wasch(ge)stellen zu verwandeln. Hauke, bogatti, Harry und viele andere wirbelten die Akkuwerkzeuge und produzierten Gestelle am laufenden Band, während snad und Thorsten in die Adapter und Abzweige tauchten und alle passenden Anschlüsse bastelten. C-Rohr, B-Rohr, Schnuffelstück und Rohrzange, und dann alles wieder auseinander und andersrum zusammen.

Währenddessen sorgte lemmi mit vielen Metern Abwasserrohr, Gleitmittel, Akkuflex und viel Geduld und Spucke dafür, dass das ganze Wasser seinen Weg auch wieder zurück findet und dabei nichts auf der Wiese landet.

Der unendlich lange Abwasserschlauch bis nach Berkatal hinein lag bereits dank der örtlichen THW-Gruppe und er wurde auch schon gefüttert von einem Abwassersammelbecken, in dem eine Pumpe die schwere Aufgabe hatte, Zahnpasta und Nudelreste, Haselnuss und Mandelkern und vieles mehr über den Berg durch die rund 2km lange Leitung zu pressen, wo es dann in der Kanalisation verschwinden sollte.

Sollte. „Schnipsel für Gerte, Schnipsel für Gerte. Krchtz.“ „Schnipsel hört“. „Du, der Bürgermeister hat grad angerufen und gesagt, dass hier unsere Zahnpasta vorbeigekommen ist. Im Dorfbach.“ „Ups. Da gehört die aber eigentlich nicht hin, oder?“ „Nö.“

Da hatten wir wohl den falschen Gulli gezeigt bekommen. Nachdem also die Pumpe abgestellt war, machten sich Bernd und ich mit dem Schlepper auf den Weg und wir zimmerten in Windeseile eine weitere Schlauchbrücke, um die Abwässer in den richtigen Kanal zu leiten, während wir in Echtzeit den Pegelstand des Abwassersammelbeckens durchgegeben bekamen. Es wurde eine hollywoodesque Punktlandung, und kurz vor dem Bersten des Abwassertanks floss die Suppe wieder, und diesmal auch in den richtigen Kanal. 

Auch andere kleine und große Probleme wurden gemeinsam schnell gelöst. Da war zum Beispiel ein sehr beeindruckender Durchlauferhitzer, den Franky und Christian mit ihrem ebenso beeindruckenden Unimog mitgebracht hatten, und der es morgens und abends schaffte, das Wasser für etliche Waschstellen auf eine angenehme Waschtemperatur zu bringen, was von den meisten Lagerteilnehmern sehr geschätzt wurde. Schließlich waren manche Nächte bereits unter dem Gefrierpunkt. Dummerweise stand das kleine Heizkraftwerk im Waschbereich der Frauen - musste aber von den beiden Herren bedient werden. 

Viele Möglichkeiten, den Damen sowohl warmes Wasser als auch eine ungestörte Privatsphäre zu ermöglichen wurden erwogen. Eine Verlegung des Geräts war aufwendig. Man musste die Waschstellen tauschen. Einfach die Beschilderung wechseln? Natürlich schaut niemand mehr nach zwei Lagertagen auf die Schilder. Also standen am nächsten Morgen zwei Gruppen lebender Wegweiser vor den Toiletten und sorgten dafür, dass sich niemand verläuft und klärten über die neue Ordnung auf. Als ich mir die Situation am Morgen schmunzelnd ansah, erzählte mir ein älterer Pfadinder vom Meissner 88, als es einfach nur ein paar Wasserhähne auf der Wiese gab, ohne Sichtschutz, ohne Warmwasser, ohne Geschlechtertrennung. Früher war halt alles besser… oder wenigstens einfacher.

Die allermeiste Zeit lief alles dahin, wo es hinsollte. Im Laufe der sechs Lagertage sind rund 400 Kubikmeter Wasser geflossen, 60 km Klopapier verbraucht worden, und wir haben 38 Kubikmeter Fäkalien entsorgt.

Der Sonntag kam. Was nach so vielen Jahre der Vorbereitung und tagelangem Aufbau entstanden war, verschwand innerhalb weniger Stunden und hinterließ nicht viel mehr als ein paar braune Flecken auf der großen Wiese, einen riesigen Berg Essensreste in den Topfwaschstellen und eine Unmenge Matsch auf den 420 Europaletten.

Zum Glück wurden wir gewarnt, dass die Reinigung der Europaletten sehr lange dauern würde und hatten zwei wirklich große Kärcher gemietet, die nun zwei Tage im Dauerbetrieb liefen, um die Unmengen Matsch von Paletten und Rohren zu fräsen und die dicke Fettschicht aus dem Abwasserbecken zu lösen. Der Abwasserschlauch war erstaunlich schnell gespült, aufgesammelt und aufgerollt und auch die Frischwasserrohre Dank der mitgelieferten Vorrichtungen bald wieder mit vereinten Kräften in ihre ursprüngliche Form gewickelt und verschlossen.

Als großes Finale blieb die Aufgabe, das ganze Material wieder in den Containern zu verstauen. Zum Glück hatten die Entlader das ganze Schicht für Schicht dokumentiert und waren auch beim Beladen noch persönlich anwesend - so dass auch diese schweißtreibende Aufgabe bald vollbracht war. 

Was bleibt? Auf der Wiese zum Glück wirklich nur ein paar braune Flecken, die jetzt, wo ich das schreibe, vermutlich schon verschwunden sind.  Aber es bleibt zum Glück noch mehr - viel Dankbarkeit für die vielen großartigen Helfer, ohne die nichts davon möglich gewesen wäre, viele neue Freundschaften und Kontakte, aber auch die Wehmut, dass nun wieder 25 Jahre Zeit ins Land gehen sollen, bis es wieder ein Meißnerlager geben wird.

schnipsel