Jeden zweiten Tag liest man einen Artikel über die Probleme der heutigen Jugend: Sie sitzt nur noch vor dem Rechner und geht nicht mehr raus, interessiert sich wenn überhaupt noch für sich selbst und ist teilnahmslos und unselbstständig. Statt sich mit Freunden auf einen Tee zu treffen hängt man in sozialen Netzwerken herum und sieht sich in den Leben anderer um. Diese zunehmende Anonymität aber auch Beschleunigung und Unverbindlichkeit der Kommunikation wollten wir während der gemeinsamen Tage am Hohen Meißner versinnbildlichen und kreierten die Nordlicht-Post.
Gerade wenn sich nämlich nahe dem verträumten Witzenhausen nicht elf Mal pro Stunde Facebook kontrollieren lässt und dann auch noch so viel Interaktion mit Kopf, Herz und Hand gefordert ist, ist es also kein Wunder, dass sich das Bedürfnis nach unpersönlichem Austausch auftut. Gottseidank hat der Pfadfinderbund Nordlicht dies geahnt und eine Alternative geschaffen.
Mit der Planung und Durchführung einer Lagerpost war es den Teilnehmern also auch weiterhin möglich, die warme und gemütliche Kohte nicht verlassen zu müssen und so ganz passiv am Lagergeschehen teilnehmen zu können. Anders lässt sich der rege Zuspruch nämlich nicht erklären. Es sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass dieser Zuspruch sich nicht an Altersgruppen festmachen ließe. Allenfalls die Art der Nutzung ließ auf das Alter schließen. Während jüngere Jugendbewegte die Post eher als Möglichkeit der kurzweiligen Kommunikation nutzen, nahmen die etwas betagteren Jugendbewegten diese Institution offensichtlich zum Anlass, allerlei Transportgeschäfte vorzunehmen. Wir sind sehr froh, dass auch wir einen Beitrag zu so manchem Umzug leisten konnten oder zumindest die Lebensmittelversorgung forumsübergreifend sicherstellen konnten, ohne weitere Absprache mit dem Markt.
So oder so kann man an diesem Unternehmen die Geschichte eines Senkrechtstartes nachzeichnen, die sich so in der Geschichte nicht ein zweites Mal finden lässt. Dank sorgfältiger Planung und einem straff organisierten Kreis namhafter Experten im Postwesen und intensiver Betreuung durch führende Wirtschaftswissenschaftler ist es den Beteiligten gelungen, ein Full-Service-Entertainment-Paket par excellence zu bieten welches nachhaltigen Eindruck gehabt haben muss. Wie sonst wäre der durchaus durchschlagende Erfolg zu erklären?
Von den ca. 500 Kohten und Jurten haben sich etwa 200 registrieren lassen, ein ohne Frage beeindruckendes Ergebnis, da nach Schätzungen der Zeltnummernzuteiler eines von 10 Zelten ein unbewohntes, also Material- oder Küchenzelt war. Insgesamt hat die Leitung der Filiale Meißner etwa 2.200 zugestellte Sendungen bestätigt, was einer Zustellquote von 98,7% entspricht und unter Anbetracht des teilweise unglaublichen Suchaufwandes einzelner Adressen ein durchaus grandioses Ergebnis ist. Schließlich ist ein Brief nicht gleich zustellbar, nur weil dort „Q 17“ vermerkt ist – es gab weder den Buchstaben, noch die Zahl als registrierte Adresse – und das Schreiben mehrfach getackert gegen das angekündigte Öffnen durch Postbeamte geschützt war. Natürlich hat uns weder die Adresse, noch Tacker daran gehindert, unserer Arbeit pflichtgemäß nachzukommen.Wie in den AGB vermerkt wurden etwa 0,8% der Sendungen einbehalten, da neu akquirierte Mitarbeiter fachgerecht in Zensur und Vernichtung gefährlicher Sendungen unterrichtet werden mussten.
Die fünf Briefkästen, welche auf dem ganzen Gelände verteilt waren, wurden bis zu neun Mal am Tag geleert, wobei die Briefkästen „An der Filiale“ und „Eingang & Anmeldung“ am intensivsten genutzt worden sind während der Briefkasten „Osten“ auffallend wenig genutzt wurde.
Die etwa 40 Mitarbeiter waren durchweg erfreut über das gute Klima am Arbeitsplatz und waren nach der fristlosen betriebsbedingten Kündigung bereit, auf eine Klage wegen Verstoß gegen alle Rechte zu verzichten, was laut unbestätigter Aussagen vor allem auf die „überaus positive Resonanz“ der Nutzer des Nachrichtensystems zurückzuführen sei. „Hätte ich 40 statt der 22€ zahlen müssen, ich hätte trotzdem Doppelschichten geschoben!“ so ist es aus der Belegschaft am Schalter zu hören. Aber auch aus der Logistik war zu vernehmen, man könne sich nichts Schöneres vorstellen, als sich beim Briefkastenleeren die Hände blutig zu stechen.Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Kommunikation etwas langsamer immer noch ganz schön schnell gehen kann und nicht weniger Spaß macht. Außerdem lohnt es sich manchmal eben doch, seine eigene Komfortzone zu verlassen und nicht nur sich im Leben anderer herumzuzehen.
Die Firma dankt!