Wer kennt ihn nicht, den Reisenden, der suchend auf der Straße, dem Bahnsteig oder in der Abflughalle steht und mit seinen Gesten und Blicken herauszufinden versucht, wo sein Ziel denn sein könnte. So beginnt der Windrosenabend am Donnerstag in der Westforumsjurte. Die warm eingepackte Suchende mit großem Koffer bepackt, kann den Norden nicht finden und fragt herum, wo er denn sein könnte, bis sie ihn auf der Bühne findet:

Der Norden

Die jungen SchauspielerInnen des  BdP „Stamm Roter Löwe“ aus Düsseldorf erzählten und spielten die selbstgeschriebene Geschichte von Lenjo, der sich hoch im Norden auf die Reise machte, um einmal das große Russland zu sehen. Während dieser abenteuerlichen Reise traf er einen Weggenossen Ilja, der ein ähnliches Ziel, jedoch in entgegengesetzter Richtung hatte. Er war Russe und wollte einmal das große Land der Wikinger sehen. So reisten die beiden  Freunde gemeinsam, überschritten Grenzen und teilten Freud und Leid. Schlussendlich mussten Sie sich trennen, denn Ihre Ziele konnten unterschiedlicher nicht sein.

Mit einem „Konnichiwa!“ auf den Lippen sucht die junge Ostasiatin Ihr Ziel, fragt herum, bekommt verwirrende Antworten und landet schließlich wieder auf der Bühne, wo sie der Osten bereits erwartet.

Der Osten

Mit Erzählungen von Michail Sostschenko, der sich zu Sowjetzeiten u.a. als Postleiter, Detektiv, Tierzüchter, Milizionär, Schuster, Tischler und Büroangestellter durch das Leben schlug, als Schriftsteller in den 20er Jahren viel gelesen und zu Zeiten Stalins verboten war, führte den Zugvogel Deutscher Fahrtenbund die Reise in den Osten. Mit welchen Inhalten fülle ich ein Formular aus? Ist es besser, dass der Onkel Bauer ist oder sollte er doch besser ein kleiner Beamter sein? Aber was, wenn die Zeiten sich ändern? Mit diesen Fragen schlug sich der Erzähler herum und verlangte vom Publikum scheinbar ernstgemeinte Ratschläge.

Untermalt wurden die Erzählungen mit einem Lied eines russischen Liedermachers (Za Tumanom von Yuri Kunin), einer Ode an die russische Tundra und Taiga, mit Nebel, Moos und ungemütlich kalten Nächten, und einer russischen Volksweise (Batka Ataman). „Ein einsamer Reiter in der kasachischen Steppe schleppt sich auf seinem lahmenden Gaul nach Hause. Die Schlacht ist verloren, aber der Krieg noch nicht vorbei. Endlich zu Hause angekommen sieht er den Kommissar am Horizont und er ahnt nichts Gutes…“

Die für den Strand perfekt gekleidete junge Dame mit dem großen Koffer sucht verzweifelt den Süden, möchte nicht den Zug und das Flugzeug verpassen, fragt herum, bekommt ungenaue Antworten, sucht weiter und findet den Süden schließlich in der schön geschmückten und inzwischen voll gefüllten Westforumsjurtenburg  - auf der Bühne.

Der Süden

Die Fahrt nach Süden, eine Sehnsucht aller bündischer nach lauen Sommernächten, wenig Gepäck, Schlafen unter freiem Himmel am Strand, fremden Kulturen, nie gehörten Sprachen und neuen Liedern. Die Lebenswelten der im Süden lebenden Frauen und Mädchen sind jedoch keineswegs so romantisch wie sie in den uns bekannten Fahrtenliedern beschrieben werden. Diese Diskrepanz setzte die Bergische Klingel (eine Singegruppe von Frauen aus der Dt. Freischar, dem Grauen Reiter, dem DPB und der ABW) im südlichen Teil des Abends mit beispielhaften Schicksalen von Frauen im Sudan, Ägypten, der Türkei, Bosnien und Italien in Szene.

Die Sinnlosigkeit und Ungerechtigkeit der immer stärker werdenden Abschottung Europas gegenüber den Menschen aus den südlich des Mittelmeers liegenden Ländern fand im Lied über den Stacheldraht, Elektrozaun (Text und Melodie von Wenzel) einen klaren Ausdruck. Doch alles Unrecht und Leid erzeugt auch ungeahnte Kräfte und Gedanken, die in wunderschönen Gedichten und Liedern Ausdruck finden. Mit einigen solcher hoffnungsvoller Gedichte und dem kämpferischen Lied „Justicia (Gerechtigkeit)“ von Lila Downs schaute der Süden in eine hoffentlich bessere Zukunft.

„Mein Zuhause ist die ganze Erde, die endlose Landstraße

ohne Grenzen außer denen,

die man überspringen muss um Neuland zu erwerben.

Mein Zuhause ist alles, was fasziniert, berauscht und verführt.

Mein Zuhause ist etwas,

das es auf dieser Welt vielleicht gar nicht gibt.

Es ist wie die Luft,

unsichtbar und doch sichtbar.

Es ist Glück.“

 

 „Gerechtigkeit!

Ich suche Dich auf der Straße,

ich suche Dich in der Tageszeitung,

im Fernsehen,

in den tauben Stimmen der Gerichte.

Gerechtigkeit!

Ich suche Dich in den Gesichtern,

ich suche Dich in den Mündern,

ich suche Dich im Geist,

ich habe dich in den Augen unserer Städte gesucht.“

 Hey Cowgirl, wo ist Dein Ziel? „Is this the right way to the west?“ Sprachschwierigkeiten überwindend stromert das Cowgirl durch die inzwischen rappelvolle Westforums- Jurtenburg, sucht vergeblich, doch nicht hoffnungslos den Westen. Derweil warten Simeon und David vom Stamm Sperber aus dem DPB Mosaik auf der Bühne, wo sie schließlich ihr Ziel findet.

Der Westen

Im Westen ist‘s am besten – denkt man.

Doch mit einem Portrait über Edward Snowden, seine Motivation, Dokumente des amerikanischen und britischen Geheimdienstes über deren Abhöraktivitäten  zu veröffentlichen und der Darstellung der Reaktionen verschiedener Staaten auf  seine gestellten Asylanträge, wurde dem Publikum anschaulich vor Augen geführt, wie „der Westen“ tickt.  Nicht nur der gelesene Brief des bolivianischen Präsidenten Evo Morales, nachdem seinem Flugzeug von Moskau kommend die Überflugrechte über Spanien, Frankreich, Italien und Portugal entzogen wurden, sondern auch das zum Besten gegebene Lied „Alles okay in Guantanamo Bay“ (Reinhard May), ließen erahnen, wie es um den Westen steht.  Ein sehr ernüchterndes Bild.

Doch in humorvoller Weise wurde der „Westen“ auch noch anders gedeutet:

Ob Norden, Süden, Osten, Westen -

Westen finde ich am besten.

Und von den Westen ist die allerbeste

meine Weste.

Die Weste ist als Rettungsding

besser als ein Rettungsring.

Und als modisches Accessoire

eignet sie sich wunderbar.…….

Halt’ ich ’ne Rede vom Podeste,

stets bekleidet mit Weste.

Empfange ich zu Hause Gäste,

selbstverständlich nur mit Weste.

Bin ich mal eingeladen auf ‘nem Feste,

erschein’ ich dort in meiner Weste.

Und vom Buffet die Essensreste

pack’ ich dann ein in meine Tüte.……..

Wer gern gefällt auch ohne Geld,

als Mann von Welt was auf sich hält,

der trage eine Weste!

Das ist mein Manifeste!

Als Fazit bleibt zu sagen: Heute

erkennt man die wirklich wichtigen Leute,

kurz gesagt, die besten

daran: Sie tragen Verantwortung.

In diesem Sinne: Test the West!

(Bodo Wartke, 1996)

So blieb den beiden Darstellern abschließend nur noch an die Männer des Westens frei nach Aragorn, Arathons Sohn zu appellieren:
„Bei allem was euch teuer ist auf dieser Welt sage ich, haltet Stand Menschen des Westens!“

Der weitgereiste Koffer blieb allein auf der Bühne stehn und noch bevor ihn ein Sondereinsatzkommando aus Angst vor Bombenanschlägen sprengen konnte, nahm ein Wandervogelmädchen ihn mit.